
Die verbreitete Annahme, Deckungslücken seien ein reines Versicherungsproblem, ist ein fundamentaler Irrtum. In Wahrheit sind sie Symptome von Designfehlern in der Architektur Ihrer Lieferkette.
- Die meisten Lücken entstehen nicht durch fehlende Policen, sondern an unklaren Schnittstellen und bei Prozessübergängen.
- Eine lückenlose Absicherung erfordert weniger den Kauf weiterer Versicherungen, sondern ein systematisches Redesign der Verantwortlichkeiten und Prozesse.
Empfehlung: Betrachten Sie Ihre Lieferkette nicht als Kette, sondern als ein Gebäude. Ihre Aufgabe ist es, die Architektur dieses Gebäudes so zu gestalten, dass keine Schwachstellen mehr existieren, anstatt Risse nachträglich zu füllen.
Für jeden Supply-Chain-Manager ist ein unversicherter Schaden der Super-GAU. Ein Container, der über Bord geht, eine Charge, die im Zwischenlager verdirbt, ein wichtiger Zulieferer, der ausfällt – die Risiken sind Legion. Die herkömmliche Reaktion darauf ist ein reaktiver Prozess: Man prüft Verträge, telefoniert mit Versicherern und versucht, im Nachhinein Verantwortlichkeiten zu klären. Oft hört man den Ratschlag, man müsse eben eine „gute Transportversicherung“ abschließen oder „die Verträge mit den Logistikpartnern genau prüfen“. Doch dieser Ansatz behandelt nur die Symptome, nicht die Ursache.
Die meisten Unternehmen jagen Deckungslücken, anstatt ihr System so zu bauen, dass diese gar nicht erst entstehen können. Was wäre, wenn das Problem nicht in den Versicherungsdetails liegt, sondern in der grundlegenden Architektur Ihrer Lieferkette? Was, wenn jede Lücke ein Hinweis auf einen Designfehler an einer kritischen Schnittstelle ist? Dieser Perspektivwechsel ist der Kern einer wirklich robusten Absicherungsstrategie. Es geht nicht darum, mehr Policen zu stapeln, sondern darum, eine lückenlose Deckungsarchitektur zu entwerfen, bei der jeder Quadratzentimeter Ihrer Supply Chain von der Rohstoffquelle bis zum Endkunden einer klaren Verantwortung zugeordnet ist.
Dieser Artikel führt Sie durch die Methodik eines Supply-Chain-Absicherungsarchitekten. Wir werden nicht nur Risiken auflisten, sondern Ihnen einen systematischen Bauplan an die Hand geben, um Schwachstellen zu identifizieren, Schnittstellen wasserdicht zu gestalten und eine Absicherungsstruktur zu errichten, die proaktiv funktioniert, anstatt reaktiv zu reparieren. Sie lernen, wie Sie Ihre gesamte Lieferkette kartieren, die gefährlichsten Übergabepunkte entschärfen und Ihre Verträge so gestalten, dass keine einzige Stunde mehr ungedeckt bleibt.
Um diese architektonische Herangehensweise zu meistern, haben wir den Prozess in überschaubare Bauphasen gegliedert. Die folgende Übersicht dient als Ihr Bauplan, um eine von Grund auf stabile und lückenlos abgesicherte Lieferkette zu konstruieren.
Inhaltsverzeichnis: Wie Sie jede Deckungslücke in Ihrer Supply Chain systematisch eliminieren
- Wie kartieren Sie Ihre Lieferkette systematisch zur Identifikation aller Risikopunkte?
- Warum entstehen 60% aller Deckungslücken bei Übergabepunkten zwischen Transportphasen?
- Eine Gesamtversicherung oder 5 Spezialversicherungen – was schließt Lücken besser?
- Die übersehenen 20% der Lieferkette, die 50% aller Schäden verursachen
- Wie oft sollten Sie Ihre Lieferketten-Absicherung bei Lieferantenwechsel neu prüfen?
- Die 48-Stunden-Lücke, in der 40% der Transportschäden unversichert bleiben
- Wie gestalten Sie Verträge so, dass keine Stunde Zwischenlagerung ungedeckt bleibt?
- Wie eliminieren Sie Deckungslücken während kritischer Zwischenlagerungsphasen?
Wie kartieren Sie Ihre Lieferkette systematisch zur Identifikation aller Risikopunkte?
Bevor ein Architekt ein Gebäude sichert, muss er den vollständigen Bauplan kennen. Für Ihre Lieferkette gilt dasselbe. Eine lückenlose Absicherung beginnt mit einer gnadenlos ehrlichen und detaillierten Kartierung. Es reicht nicht, nur Ihre direkten Logistikpartner zu kennen. Sie müssen jeden Knotenpunkt, jeden Transportweg und vor allem jede Schnittstelle visualisieren, an der eine Ware oder eine Verantwortung übergeben wird. Dies umfasst Produzenten, Spediteure, Lagerhäuser, Zollagenten, Distributoren und sogar die letzte Meile zum Kunden.
Die moderne Technologie bietet hierfür entscheidende Werkzeuge. Statt sich auf veraltete Prozessdiagramme zu verlassen, ermöglicht der Einsatz von IoT-Technologie eine dynamische Kartierung in Echtzeit. Wie aktuelle IoT-Studien zeigen, liefern Produkte und Fahrzeuge, die mit Sensoren und Tracking-Technologien ausgestattet sind, kontinuierliche Daten zu Standort, Status und Umgebungsbedingungen. Diese Daten sind die Grundlage für eine lebendige, atmende Risikokarte Ihrer Lieferkette, die nicht nur den geplanten Weg, sondern auch die realen Abweichungen abbildet.
Diese visuelle Aufbereitung, oft als Risk-Heatmap dargestellt, macht sofort ersichtlich, wo sich Risiken konzentrieren. Sie sehen nicht nur die Route, sondern auch die „Temperatur“ an jedem Punkt: Wo kommt es zu Verzögerungen? Wo gibt es Temperaturschwankungen? Wo finden die meisten Übergaben statt? Die Visualisierung ist der erste Schritt zur Dominanz über das Risiko.

Auf Basis dieser Heatmap können Sie eine systematische Bewertung vornehmen. Anstatt blind nach Lücken zu suchen, analysieren Sie gezielt die rot markierten Zonen. Dies sind die Bereiche mit der höchsten Risikodichte, an denen Sie mit Ihrer Detailprüfung ansetzen müssen. Die Kartierung ist kein Selbstzweck, sondern die essenzielle Grundlage, um Ihre Absicherungsarchitektur präzise und effizient zu gestalten.
Warum entstehen 60% aller Deckungslücken bei Übergabepunkten zwischen Transportphasen?
Ein Paket wird vom LKW des Produzenten auf einen Zug verladen, vom Zug in ein Hafenterminal gebracht, dort auf ein Schiff gehievt und am Zielhafen von einem lokalen Spediteur übernommen. Jede dieser Übergaben ist ein kritisches Schnittstellenrisiko. Hier prallen unterschiedliche Haftungsregeln, Versicherungspolicen und Verantwortlichkeiten aufeinander. Genau in diesen Grauzonen, den Momenten zwischen „nicht mehr meine Verantwortung“ und „noch nicht deine Verantwortung“, entstehen die meisten Deckungslücken.
Das Problem wird durch die Struktur des Versicherungsmarktes verschärft. Wie Versicherungsexperten warnen, sind existierende Versicherungsprodukte gegen Lieferkettenrisiken oft fragmentiert und decken jeweils nur spezifische Risiken oder Transportabschnitte ab. Der Spediteur hat eine CMR-Versicherung, der Reeder eine Seeversicherung, das Lagerhaus eine eigene Police. Jede dieser Policen hat unterschiedliche Limits, Ausschlüsse und Meldefristen. Es entsteht ein Flickenteppich, bei dem die Nähte die Schwachstellen sind.
Ein klassisches Beispiel ist die 48-Stunden-Meldefrist. Wird ein Schaden bei der Ankunft nicht sofort bemerkt und gemeldet, weil der Container erst Tage später geöffnet wird, kann der Versicherungsschutz bereits erloschen sein. Die Verantwortung wird zwischen den Parteien hin- und hergeschoben, und am Ende bleibt der Warenbesitzer auf dem Schaden sitzen. Das Problem ist also nicht, dass es keine Versicherung gibt, sondern dass die einzelnen Versicherungen nicht nahtlos ineinandergreifen.
Die Lösung liegt in der Schaffung einer lückenlosen Verantwortungsmatrix für jede einzelne Schnittstelle. Es muss vertraglich exakt definiert sein, wer in welchem Moment für die Ware verantwortlich ist, wer das Risiko trägt und wessen Versicherung im Schadensfall greift. Ohne diese architektonische Klarheit bleiben die Übergabepunkte die Achillesferse jeder Supply Chain.
Eine Gesamtversicherung oder 5 Spezialversicherungen – was schließt Lücken besser?
Angesichts des Problems fragmentierter Policen stellt sich die strategische Gretchenfrage: Bündelt man die Absicherung in einer einzigen, umfassenden Police (einer All-Risk- oder Warenpolice) oder orchestriert man ein Portfolio aus hochspezialisierten Versicherungen? Beide Ansätze haben ihre Berechtigung, doch die Wahl hängt von der Komplexität Ihrer Lieferkette und Ihrer Risikotoleranz ab. Es ist die Entscheidung zwischen einer Festungsarchitektur und einem flexiblen System aus spezialisierten Verteidigungstürmen.
Eine All-Risk-Police, die Sie als Warenversender selbst abschließen, bietet den Charme der Einfachheit und umfassenden Kontrolle. Der Grundsatz lautet: „Alles ist versichert, was nicht explizit ausgeschlossen ist.“ Dies eliminiert die gefährlichen Grauzonen zwischen den Policen Ihrer verschiedenen Logistikpartner. Sie haben einen Ansprechpartner, einheitliche Bedingungen und müssen sich im Schadensfall nicht mit den Versicherern Ihrer Dienstleister auseinandersetzen. Ein Anbieter wie FM Global bietet mit seiner Supply Chain Lösung beispielsweise eine solche integrierte Deckung, die sogar die Lieferanten Ihrer Lieferanten einschließen kann, um maximale Flexibilität zu gewährleisten.
Spezialversicherungen hingegen bieten eine höhere Granularität. Sie können für einen Hochrisikoabschnitt eine Police mit sehr hohen Deckungssummen abschließen und für risikoärmere Abschnitte eine Basisdeckung wählen. Dieser Ansatz kann maßgeschneiderter sein, erhöht aber den administrativen Aufwand und die Gefahr von Schnittstellenrisiken exponentiell. Sie werden zum Dirigenten eines komplexen Orchesters von Policen, was höchste Expertise erfordert.
Die folgende Tabelle stellt die Kernmerkmale beider Architekturen gegenüber, um Ihnen eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu bieten.
| Kriterium | All-Risk-Police | Spezialversicherungen |
|---|---|---|
| Deckungsumfang | Allgefahren-Ansatz: Jedes Risiko ist versichert, sofern nicht ausdrücklich ausgeschlossen | Nur spezifisch genannte Risiken |
| Typische Ausschlüsse | Krieg, Streik, Cyberangriffe | Je nach Police unterschiedlich |
| Verwaltungsaufwand | Niedrig (eine Police) | Hoch (mehrere Policen) |
| Flexibilität | Begrenzt | Hoch (individuelle Anpassung) |
| Kosten | Oft günstiger gesamt | Kann teurer werden |
Für die meisten Unternehmen mit komplexen, internationalen Lieferketten ist der All-Risk-Ansatz die überlegene Architektur. Er centralisiert die Kontrolle und minimiert proaktiv das Risiko von Deckungslücken, die durch das Zusammenspiel unterschiedlicher Policen entstehen.
Die übersehenen 20% der Lieferkette, die 50% aller Schäden verursachen
Die meisten Supply-Chain-Manager fokussieren ihr Risikomanagement auf die offensichtlichen Teile der Kette: die großen Logistikpartner, die Haupttransportrouten, die eigenen Lagerhäuser. Doch die katastrophalsten Schäden entstehen oft in den unscheinbaren, peripheren Bereichen – den „übersehenen 20%“. Dazu gehören die Lieferanten Ihrer Lieferanten (Tier 2 und 3), die Retourenlogistik (Reverse Logistics) oder kleine, regionale Distributoren.
Diese Bereiche werden oft als unkritisch abgetan, doch sie bergen ein enormes Potenzial für Disruptionen. Eine AXA XL Risikoanalyse zeigt ein klassisches Szenario: Bei einem Brand wird eine Produktionsstätte in China zerstört, in der ein unbedeutend erscheinendes Bauteil hergestellt wird. Praktisch über Nacht steigt der Preis für dieses Teil um 20%, und globale Produktionslinien stehen still. Der Schaden entsteht nicht auf dem Schiff, sondern tief verborgen in der Lieferkette, wo niemand hinschaut.
Ein weiterer notorisch übersehener Bereich ist die Reverse Logistics. Der Prozess, Retouren vom Kunden zurück ins Lager oder zum Hersteller zu bringen, ist oft weniger standardisiert und schlechter überwacht als die primäre Auslieferung. Hier kommt es häufig zu Beschädigungen, Verlusten oder fehlerhafter Erfassung, was zu direkten finanziellen Einbußen und unklaren Haftungsfragen führt. Diese Prozesse müssen mit der gleichen architektonischen Sorgfalt geplant und abgesichert werden wie die Hauptlieferkette.

Das Bild der Kette mit dem einen, schwachen Glied ist hier besonders passend. Ihre gesamte Lieferkette ist nur so stark wie ihr schwächstes, oft übersehenes Glied. Ein wahrer Absicherungsarchitekt dehnt seine Kartierung und Analyse daher gezielt auf diese peripheren Zonen aus, denn er weiß, dass hier die stillen Risiken mit dem größten Schadenspotenzial lauern.
Wie oft sollten Sie Ihre Lieferketten-Absicherung bei Lieferantenwechsel neu prüfen?
Die Antwort ist brutal einfach: sofort. Eine Lieferketten-Architektur ist kein statisches Monument, sondern ein lebendiges System, das sich permanent verändert. Ein Wechsel eines Lieferanten, Spediteurs oder Lagerhalters ist keine simple administrative Anpassung; es ist ein signifikanter Eingriff in die Statik Ihrer Absicherung. Jeder neue Partner bringt seine eigenen Verträge, Haftungsgrenzen und Versicherungspolicen mit, die potenziell neue Lücken in Ihr sorgfältig geplantes System reißen.
Warten auf die jährliche Policen-Erneuerung, um die Absicherung zu überprüfen, ist grob fahrlässig. Erfolgreiche Absicherungsarchitekten implementieren ein System von Event-Triggern. Dies sind vordefinierte Ereignisse, die eine sofortige und automatische Überprüfung der betroffenen Kettenglieder auslösen. Ein Lieferantenwechsel ist der offensichtlichste Trigger, aber auch politische Instabilitäten in einer Transitregion, Änderungen in der Eigentümerstruktur eines Partners oder wiederholte kleinere Qualitätsprobleme müssen auf dieser Liste stehen.
Die regelmäßige Kommunikation und Überwachung der Zuverlässigkeit Ihrer Partner ist dabei ein entscheidender Faktor. Achten Sie auf frühe Warnsignale wie eine instabile Finanzlage oder negative Bewertungen. Eine breitere, lokale Aufstellung Ihres Lieferantennetzwerks kann zudem die Abhängigkeit von einzelnen ausländischen Zulieferern reduzieren und die Resilienz erhöhen.
Die folgende Checkliste dient als operatives Framework, um sicherzustellen, dass Ihre Absicherungsarchitektur dynamisch und anpassungsfähig bleibt und nicht durch unbemerkte Veränderungen erodiert wird.
Ihr Aktionsplan zur dynamischen Überprüfung der Absicherung
- Lieferantennetzwerk auditieren: Bauen Sie Ihr Lieferantennetzwerk breiter und lokaler aus, um Abhängigkeiten bei geopolitischen Ereignissen zu minimieren.
- Zuverlässigkeitssignale überwachen: Achten Sie proaktiv auf Signale wie positive Wachstumsentwicklung, stabile Eigentümerstruktur und gute Bewertungen Ihrer Zulieferer.
- Kommunikations- und Nachrichten-Monitoring: Verfolgen Sie aktiv aktuelle Geschehnisse und pflegen Sie eine regelmäßige, offene Kommunikation mit jedem Lieferbetrieb.
- Finanzielle Stabilität prüfen: Behalten Sie Zahlungseingänge und die finanzielle Gesundheit Ihrer Partner kontinuierlich im Blick. Ziehen Sie eine Warenkredit- oder Delkredere-Versicherung zur Absicherung gegen Zahlungsverzögerungen in Betracht.
- Schnittstellen neu bewerten: Bei jedem Partnerwechsel müssen die Verantwortlichkeiten und Haftungsübergänge an den Schnittstellen zum neuen Partner neu definiert und vertraglich fixiert werden.
Betrachten Sie Ihre Absicherungsarchitektur als eine Software. Jeder Partnerwechsel ist ein Update, das auf Kompatibilität mit dem Gesamtsystem getestet werden muss, bevor es live geschaltet wird.
Die 48-Stunden-Lücke, in der 40% der Transportschäden unversichert bleiben
Zeit ist nicht nur Geld, sondern auch ein kritischer Faktor für den Versicherungsschutz. Viele Transportversicherungen und Spediteurhaftungen enthalten strikte Meldefristen für die Anmeldung von Schäden. Eine typische Frist von 48 Stunden klingt machbar, wird aber zur Falle, wenn die Prozesse nicht darauf ausgelegt sind. Diese zeitbasierte Deckungslücke ist eine der heimtückischsten, weil sie nicht durch den Umfang, sondern durch die Prozessgeschwindigkeit entsteht.
p>Das Problem verschärft sich, wenn ein Wochenende oder Feiertage dazwischenliegen. Eine Lieferung, die am Freitagnachmittag ankommt, aber erst am Montagmorgen inspiziert wird, reißt bereits die 48-Stunden-Frist. Ähnlich wie bei der Meldung von Datenschutzpannen unter der DSGVO, wo eine 72-Stunden-Frist gilt, die auch am Wochenende weiterläuft, bleibt de facto oft nur ein Arbeitstag, um den Schaden zu entdecken, zu dokumentieren und zu melden. In dieser kurzen Zeitspanne bleiben Schätzungen zufolge bis zu 40% der ansonsten deckungsfähigen Schäden unversichert.
Die proaktive Lösung zur Schließung dieser Zeitlücke liegt in der Technologie. Statt auf eine manuelle Inspektion bei Ankunft zu hoffen, ermöglicht moderne Sensortechnologie die Überwachung in Echtzeit während des gesamten Transports. IoT-Sensoren in Containern oder direkt an der Ware erfassen kontinuierlich Daten zu Erschütterungen, Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder unautorisiertem Öffnen. Tritt ein schadenrelevantes Ereignis ein – zum Beispiel ein starker Stoß oder ein Verlassen des definierten Temperaturkorridors – wird sofort ein Alarm ausgelöst.
Diese Echtzeit-Daten dienen einem doppelten Zweck: Sie ermöglichen es, präventiv einzugreifen (z. B. durch Umrouten einer Sendung), und sie liefern einen unwiderlegbaren, zeitgestempelten Beweis dafür, wann und wo der Schaden aufgetreten ist. Damit wird die Beweislast umgekehrt und die Einhaltung von Meldefristen zu einer Formalität, da der Schaden bereits im Moment seines Entstehens dokumentiert ist.
Wie gestalten Sie Verträge so, dass keine Stunde Zwischenlagerung ungedeckt bleibt?
Zwischenlagerungen sind schwarze Löcher für den Versicherungsschutz. Die Ware befindet sich nicht mehr im Transit auf dem LKW, aber auch noch nicht im finalen Bestimmungslager. Hier gelten oft andere Haftungsregeln und Versicherungspolicen. Um diese Phase lückenlos abzusichern, ist eine präzise vertragliche Architektur unerlässlich. Ein mündliches „Wir kümmern uns darum“ Ihres Logistikpartners ist wertlos.
Der Grundsatz lautet: Keine Geschäftsbeziehung ohne einen schriftlichen Vertrag, der die Haftungs- und Versicherungsfragen explizit regelt. Bereits in der Vertragsgestaltung müssen die Verantwortlichkeiten für die Zwischenlagerung klar definiert werden. Dies beginnt mit der klaren Forderung, dass eine eventuell vorhandene Transportversicherung auf „All-Risk“-Basis eingekauft wird und explizit auch Zwischenlagerungen umfasst. Ist dies nicht der Fall, muss zwingend eine separate, aber nahtlos anschließende Lagerversicherung abgeschlossen werden.
Ein entscheidender, oft übersehener Punkt ist die Risikoprüfung des Lagerstandortes selbst. Wenn Sie hochwertige Waren zwischenlagern lassen, sollte Ihr eigener Transportversicherer den Standort einer physischen Risikoprüfung unterziehen. Nur so stellen Sie sicher, dass die Sicherheitsstandards des Lagers (z. B. Brandschutz, Diebstahlsicherung) den Anforderungen Ihrer Police genügen und der Deckungsschutz im Schadensfall nicht gefährdet ist.
Fallbeispiel: Absicherung gegen nicht-physische Schäden
Was passiert, wenn Ihr Zulieferer aufgrund einer Cyber-Attacke oder einer Naturkatastrophe nicht liefern kann und Ihre Produktion stillsteht, obwohl Ihre eigene Ware unbeschädigt ist? Hier greifen Standardversicherungen nicht. Eine sogenannte ‚Non-Damage Business Interruption Insurance‘ leistet finanzielle Entschädigung, wenn ein Zulieferer oder Abnehmer ausfällt, unabhängig vom Grund des Ausfalls. Dies ist ein fortgeschrittenes vertragliches Instrument zur Schließung von Lücken, die über physische Schäden hinausgehen.
Ihre Verträge sind das Fundament Ihrer Absicherungsarchitektur. Sie müssen so präzise wie ein Bauplan sein und dürfen keinen Raum für Interpretationen lassen, insbesondere in den Hochrisikozonen wie der Zwischenlagerung.
Das Wichtigste in Kürze
- Deckungslücken sind keine Schicksalsschläge, sondern Designfehler in der Lieferketten-Architektur, die proaktiv eliminiert werden können.
- Die gefährlichsten Risiken lauern an den Schnittstellen zwischen Partnern und in den übersehenen peripheren Zonen der Supply Chain (z.B. Tier-2-Zulieferer, Retourenlogistik).
- Eine selbst abgeschlossene All-Risk-Police in Kombination mit einer lückenlosen Verantwortungsmatrix bietet in der Regel eine robustere Absicherung als ein Flickenteppich aus Spezialversicherungen.
Wie eliminieren Sie Deckungslücken während kritischer Zwischenlagerungsphasen?
Die Zwischenlagerung ist mehr als nur ein Pausenstopp. Sie ist eine aktive Phase voller Risiken, die oft unterschätzt wird. Es gilt, zwischen passiver Lagerung (Ware ruht unberührt) und aktiver Lagerung (Ware wird umgepackt, kommissioniert, konsolidiert) zu unterscheiden. Jede Handhabung im Lager erhöht das Risiko von Beschädigung, Verlust oder Kontamination exponentiell. Die Absicherungsarchitektur muss diesem Unterschied Rechnung tragen.
Technologische Überwachung ist auch hier der Schlüssel zur Risikobeherrschung. Das Praxisbeispiel von DHL zeigt eindrucksvoll das Potenzial: Dort werden 250.000 Rollbehälter mit intelligenten Trackern ausgestattet, die permanent den exakten Standort melden. Ein solches System eliminiert nicht nur das Risiko des „Verschwindens“ von Waren in großen Lagern, sondern optimiert auch die Prozesse und senkt Kosten. Für Sie als Warenbesitzer bedeutet das Transparenz und Kontrolle, selbst wenn sich Ihre Güter in der Obhut eines Dritten befinden.
Die Wahl der richtigen Lagerstrategie und des Partners ist ebenso entscheidend. Die Risikoprofile von aktiver und passiver Lagerung unterscheiden sich fundamental und erfordern eine angepasste Deckung. Die folgende Übersicht verdeutlicht die kritischen Unterschiede.
| Kriterium | Aktive Lagerung | Passive Lagerung |
|---|---|---|
| Warenhandling | Ware wird bewegt/umverpackt | Reine Transitlagerung |
| Risikoprofil | Erhöhtes Risiko durch Handling | Geringeres Risiko |
| Versicherungsbedarf | Erweiterte Deckung notwendig | Standarddeckung oft ausreichend |
| Cross-Contamination-Risiko | Hoch in Multi-User-Lagern | Mittel bis gering |
| IoT-Überwachung | Essenziell für Schadensprävention | Empfohlen für Dokumentation |
Die Eliminierung von Deckungslücken in der Zwischenlagerung ist somit eine Kombination aus drei Säulen: einer präzisen vertraglichen Definition der Verantwortlichkeiten, einer technologischen Überwachung zur Schaffung von Transparenz und einer bewussten Auswahl der Lagerart und des Partners, deren Risikoprofil zu Ihrer Ware passt.
Der Aufbau einer lückenlosen Absicherungsarchitektur ist ein kontinuierlicher Prozess, kein einmaliges Projekt. Beginnen Sie noch heute damit, Ihre Lieferkette mit den Augen eines Architekten zu betrachten und die systematische Eliminierung von Deckungslücken als oberste Priorität zu behandeln. Für eine detaillierte Analyse Ihrer spezifischen Lieferketten-Architektur ist der nächste logische Schritt eine professionelle Risikobewertung.